Zusammen sind wir weniger allein

12. Februar 2020 Peter Lipp – Wissen

In der landläufigen Vorstellung sitzt ein Data Scientist in einem verdunkelten Raum, Pizzakartons und Kaffeebecher türmen sich rechts und links vom Schreibtisch. Unser imaginärer Experte ist für seine Mitmenschen quasi unerreichbar, denn er sitzt gebannt vor dem Computer und hämmert hektisch immer neue Befehle in die Tastatur. Mit der Realität hat das natürlich überhaupt nichts zu tun – ganz im Gegenteil: das Büro der Data Scientists bei der Direct Analytics / AZ Direct ist nicht nur sehr hell und freundlich – es zählt auch zu den lautesten in unserer Firma. Hier wird viel diskutiert, es werden gemeinsam Lösungen für verzwickte Probleme gesucht, Theorien entwickelt und verworfen. Gerade die analytische Arbeit braucht den Gedankenaustausch und den kritischen zweiten Blick auf eine gefundene Lösung.

Die Möglichkeiten für einen solchen Austausch sind dabei allerdings beschränkt. Häufig arbeiten Data Sciencists in sehr kleinen Teams und außerhalb dieser Teams gibt es nur wenige, die wirklich auf Augenhöhe mitdiskutieren können. Impulse von außen kommen allerhöchstens über Paper, die in immer größerer Zahl veröffentlicht werden und kaum zu überblicken sind.

Genau hier setzt das Data Exchange Projekt von Bertelsmann an. Ursprünglich vom Bertelsmann Vorstand angestoßen und von der RTL Group initiiert, hat sich diese Initiative schnell zu einer festen Größe im Konzern etabliert. Mehr als 400 Teilnehmer aus mehr als 50 Firmen des Bertelsmann Kosmos schreiben auf vielfältige Weise an der digitalen Agenda der Unternehmensgruppe mit. Ein Erfolgsfaktor ist hierbei sicherlich die Idee, dass der Data Exchange zugleich von und für Experten geführt wird. Das gilt insbesondere für den Advanced Analytics Workstream als Teil des Data Exchange Projects. Diese Arbeitsgruppe richtet sich an all die analytischen Inseln innerhalb des Bertelsmann Konzerns und ermöglicht eine Vernetzung der Data Scientists über die Divisionen, Länder und sogar Kontinente hinweg. Innerhalb von fünf Jahren ist dabei aus einer kleinen Graswurzelbewegung eine große Community entstanden, die sich zwei- bis dreimal im Jahr an den verschiedensten Konzern-Standorten trifft und zu den unterschiedlichsten Themen austauscht.

 

Vom Fieldtrip zum Spieltrieb

Wichtiger Bestandteil dieser Treffen ist es, eine gastgebende Firma aus dem Bertelsmann Kosmos zu besuchen und kennen zu lernen. Auf diese Weise ist innerhalb der Arbeitsgruppe mittlerweile ein sehr gutes Bild gewachsen, welche Geschäfte genau die anderen Data Scientist Teams unterstützen. Gleichzeitig wurde aber auch mehr und mehr deutlich, wie viele gemeinsame Fragestellungen es innerhalb der Gruppe gibt. Seien es Fragen zur Softwarenutzung oder zum Coding, analytische Fragestellungen, neue Verfahren oder Themen zur Datenarchitektur. Schnell wurde klar, dass es in unseren Reihen verschiedenste Spezialisten zu den unterschiedlichen Themen gibt, die anderen Teams und Bereichen helfen können, sich schneller und erfolgreicher zu entwickeln.

Die Kultur der Fieldtrips, wie diese Standortbesuche genannt wurden, stieß allerdings schnell an ihre Grenzen. Einerseits wurde die Community inzwischen tatsächlich sehr groß und passt längst nicht mehr in jeden Konferenzraum und andererseits ist die Themenvielfalt schnell zu komplex und divers. So haben sich inzwischen mehrere Expertengruppen gebildet, die sich dezidiert um einen tiefen Austausch etwa zu Themen wie „Visualisierung“ oder „künstliche Intelligenz“ kümmern. Neben dem Wissens- und Erfahrungsaustausch steht bei diesen Untergruppen noch stärker die tatsächliche Zusammenarbeit im gemeinsamen Fokus.

Für die AI-Expert-Group wurden dazu insbesondere Hackathons ausgerichtet. Auf diesen Veranstaltungen haben sich mehrere firmenübergreifende Teams gebildet und konkrete AI-Fragestellungen aus dem Bertelsmann Konzern bearbeitet. Die Fragestellung der AZ Direct etwa nach der Generierung von zusätzlichen Daten aus dem Internet, wurde im Rahmen dieser Veranstaltungen von insgesamt drei Teams bearbeitet und mit vielen neuen, erfolgsversprechenden Impulsen versehen.  So kann nicht nur jeder einzelne von der Zusammenarbeit profitieren, sondern auch die Teams der Teilnehmer und die Firmen aus dem Konzern mit ihren ganz konkreten Fragestellungen.

 

Peter Lipp im Austausch mit Teilnehmern im Rahmen des Hackathons.

Die Visualisierungsgruppe geht einen etwas anderen Weg. Hier gibt es keine Hackathons, sondern einen fortlaufenden Visualisierungswettbewerb – die sogenannte Viz-Challenge. Jeden Monat wird dazu auf der gemeinsamen Kommunikationsplattform des Data Exchange Projekts ein Datensatz aus dem Konzern hochgeladen. Die Teilnehmer an der Challenge haben dann einen Monat Zeit, die Inhalte dieses Datensatzes heraus zu arbeiten und graphisch klar und ansprechend darzustellen. Die besten Visualisierungsideen werden daraufhin prämiert und archiviert, so dass im Laufe der Zeit ein großes Archiv an spannenden, anschaulichen Visualisierungsbeispielen entsteht. Spielerisch wird so ein Einblick in Aufgaben und Datenwelten in die verschiedensten Bereiche des Konzerns gewährt. Darüber hinaus gewinnen die Firmen, die ihre Daten zur Challenge beisteuern oft noch zusätzliche Erkenntnisse durch den Einblick vieler Kollegen auf ihre Fragestellung.

Auch auf der analytischen Ebene wurde mittlerweile ein Wettbewerb ins Leben gerufen. Ausgangspunkt dafür ist die Bertelsmann Data Science Sandbox – eine eigenes aufgesetzte Testumgebung, auf die Kollegen aller Bertelsmann Divisionen zugreifen können. Hier besteht die Möglichkeit mit neuester Software an ausgewählten Datensätzen aktuelle Verfahren aus zu probieren und gemeinsam spannende Fragestellungen zu lösen. Im Rahmen der Sandbox-Challenge haben Data Science-Teams ganz konkret die Gelegenheit, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten an einem realen Business-Case aus der Bertelsmann-Welt zu überprüfen, sich mit anderen Teams zu vergleichen und die ‚Goldene Schaufel‘ zu erringen.

Sharing is caring! Gruppenbild vom letztjährigen Data Summit in Berlin.

Mit diesen eher spielerischen Ansätzen gelingt es der Arbeitsgruppe Advanced Analytics einerseits den Austausch zwischen den einzelnen Bereichen und Personen zu fördern – und gleichzeitig aktuelle und für die entsprechenden Einheiten wichtige Themen über ein Mehraugenprinzip stärker und erfolgreicher voran zu treiben.

Auswirkungen auf den Arbeitsalltag

Doch auch darüber hinaus prägen die Aktivitäten der Gruppe ganz konkret die Arbeitswelt der Data Scientists bei Bertelsmann. Mit dem Median-Rotationsprogramm wurde beispielsweise auf Initiative der Gruppe ein Konzept entwickelt, das jungen Data Scientists über Rotationen in unterschiedliche, internationale Bertelsmann Analyse-Teams einen Einblick in die verschiedenen Aktivitäten des Konzerns auf diesem Gebiet ermöglicht. Dieses Programm macht Bertelsmann nicht nur spannender für die Berufseinsteiger, sondern es verknüpft einmal mehr die teilnehmenden Einheiten.
Für die aktuellen Kollegen wurde zudem in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann University ein Curriculum entwickelt, um sich intern als Data Scientist weiter zu bilden oder erste, begleitete Schritte in die Welt der Analyse und der Daten zu unternehmen.

Die Transparenz, das gestärkte Know-how und die verschiedenen Kompetenzen innerhalb der Gruppen stellen für die Zukunft einen Motor für die Entwicklung bereichsübergreifender, datengetriebener Ideen und Produkte dar. Fern ab von der wirklichkeitsfremden Vorstellung des Eigenbrötlers im Elfenbeinturm hat sich eine globale, kommunikative, dynamische und kreative Gemeinschaft gebildet, die nur darauf brennt, Initiative zu ergreifen und die Geschicke ihrer Firmen, Ihrer Divisionen und auch des Konzerns mit zu gestalten.

 

Peter Lipp